Damit wir die Schulen verstehen, müssen wir sie aus historischer Hinsicht betrachten.
Veröffentlicht am 20. August 2008 von Peter Gray in Freedom to Learn
Da Kinder fast überall gesetzlich dazu verpflichtet sind, zur Schule zu gehen, fast alle Schulen dieselbe Struktur haben und unsere Gesellschaft sehr viel für solche Schulen ausgibt, neigen wir natürlich dazu zu glauben, dass es dafür einen guten und logischen Grund gibt. Wenn wir Kinder nicht zwängen, zur Schule zu gehen, oder wenn Schulen anders aufgebaut wären, würden unsere Kinder vielleicht nicht zu vernünftigen Erwachsenen heranwachsen. Möglicherweise haben einige schlaue Köpfe sich damit befasst und all das irgendwie bewiesen oder vielleicht wurden alternative Denkansätze hinsichtlich der Entwicklung und Bildung der Kinder getestet, deren Ergebnisse jedoch ungenügend waren.
In früheren Posts habe ich das Gegenteil bewiesen. In meinem Post vom 13. August habe ich über die Sudbury Valley School gesprochen, in der 40 jahrelang Kinder sich selbst gebildet haben und das in einer Umgebung, die den traditionellen Unterrichtsmethoden widerspricht. Studien über die Schule und deren Abgänger zeigen, dass normale Kinder, wenn sie spielend die Welt entdecken, ohne dass sie die Erwachsenen leiten oder beeinflussen, zu gebildeten, erfüllten und arbeitsfähigen Personen werden, die sich in der Gesellschaft zurecht finden. Dort werden die Kinder nicht geleitet oder beeinflusst, sondern mit einer Umgebung konfrontiert, die stets auf demokratischer Basis das Spiel und das Entdecken fördert; und all das kostengünstiger und mit geringerem Aufwand für alle Beteiligten als bei „normalen“ Schulen. Warum folgen also dann die meisten Schulen nicht diesem Modell?
Um zu verstehen, warum unsere Schulen so sind, wie sie sind, müssen wir uns von der Vorstellung lösen, dass sie Produkte logischer Notwendigkeit oder wissenschaftlicher Erkenntnis sind. Sie sind vielmehr Produkte der Geschichte. Die heutigen Unterrichtsmethoden können nur aus historischer Hinsicht logisch erklärt werden. Aus diesem Grund führe ich hier eine kurze Zusammenfassung der Bildungsgeschichte seit Beginn der Menschheitsgeschichte bis heute an. Die meisten Bildungswissenschaftler würden andere Begriffe hierbei verwenden als ich, aber ich bezweifle, dass sie die allgemeine Richtigkeit meiner Anführungen verneinen würden. Ich habe beim Schreiben meiner Ausführungen sogar Werke solcher Wissenschaftler herangezogen.
Am Anfang unserer Geschichte haben Kinder sich jahrtausendelang selbst durch selbstbestimmtes Spielen und Entdecken gebildet.
Im Hinblick auf unsere biologische Geschichte sind Schulen sehr neue Einrichtungen. Bevor sich die Landwirtschaft entwickelte, lebten wir jahrtausendelang als Jäger und Sammler. In meinem Post vom 2. August habe ich anthropologische Beweise zusammengetragen, die belegen, dass Kinder in Jäger-und-Sammler-Kulturen durch selbstbestimmtes Spielen und Entdecken das lernten, was sie benötigten, um für die Familie nützliche Mitglieder zu werden. Der starke Hang von Kindern zum Spielen und Entdecken entwickelte sich vermutlich, als wir Jäger und Sammler waren, um das nötige Wissen zum Überleben erlangen zu können. Die Erwachsenen der Jäger-und-Sammler-Kulturen haben ihren Kindern fast uneingeschränkte Spiel- und Entdeckungsfreiheit gewährt, da sie erkannt hatten, dass die Kinder so auf natürliche Weise lernten.
Mit der landwirtschaftlichen und später der industriellen Revolution wurden Kinder zu Zwangsarbeitern. Das Spielen und Entdecken wurde unterdrückt. Willensstärke, die zuvor eine Tugend war, wurde zur Untugend und musste aus den Köpfen der Kinder mit aller Macht verbannt werden.
Vor 10.000 Jahren löste das Aufkommen der Landwirtschaft eine Welle von Veränderungen hinsichtlich der Lebensweisen der Menschen aus. Die Lebensweise der Jäger und Sammler war sehr auf Können und Wissen fokussiert, jedoch nicht auf Arbeit. Um ein guter Jäger und Sammler zu werden, mussten sich die Menschen ein breites Wissen über die Pflanzen und Tiere erarbeiten, von denen sie abhängig waren, sowie über die Umgebungen, in denen sie nach Nahrung suchten. Sie haben auch herausragende Fähigkeiten beim Bau von und im Umgang mit den Werkzeugen entwickelt, mit denen sie auf Nahrungssuche gingen. Sie mussten die Initiative ergreifen können und einfallsreich bei der Nahrungssuche sein. Ihre Arbeit war nicht eintönig, sondern aufregend und dauerte nicht den ganzen Tag. Anthropologen haben erklärt, dass die Jäger und Sammler Gruppen, die sie untersucht haben, nicht zwischen Arbeit und Spiel unterschieden. Im Grunde genommen haben sie ihr ganzes Leben als Spiel wahrgenommen.
Mit der Landwirtschaft änderte sich all das, denn die Menschen konnten mehr Essen produzieren und somit mehr Kinder ernähren. Dadurch konnten (oder mussten) sie auch in dauerhaften Behausungen bleiben und ließen ihr Leben als Nomaden hinter sich, wodurch sie nun Eigentum ansammeln konnten. Diese veränderte Lebensweise brachte jedoch viel Arbeit mit sich. Während die Jäger und Sammler gekonnt das ernteten, was die Natur ihnen gab, mussten die Bauern pflügen, anpflanzen, kultivieren, ihre Herden versorgen usw. Eine erfolgreiche Landwirtschaft erforderte viele Stunden relativ stupider und monotoner Arbeit, von der ein großer Teil von Kindern durchgeführt werden konnte. Dadurch, dass die Familien immer größer wurden, mussten die älteren Kinder auf dem Feld oder Zuhause arbeiten, damit ihre kleineren Geschwister Nahrung hatten. Das Leben der Kinder änderte sich drastisch. Statt des ungezwungenen Entdeckens ihrer eigenen Interessen mussten sie mehr Zeit damit verbringen, Arbeiten zu verrichten, die nötig waren, um den Rest der Familie zu ernähren.
Die Landwirtschaft und der damit verbundene Landbesitz und die Ansammlung von Eigentum schafften zum ersten Mal in der Geschichte Statusunterschiede. Die Menschen, die kein Land besaßen, wurden abhängig von den Landbesitzern. Diese wiederum haben dann festgestellt, dass sie ihren eigenen Wohlstand damit verbessern konnten, indem sie sich mehr Menschen suchten, die für sie arbeiteten sollten. So entstanden verschiedene Formen von Sklaverei. Die Reichen konnten mithilfe derer, deren Überleben von ihnen abhängte, noch reicher werden. All das gipfelt im Mittelalter mit dem Feudalismus, als die Gesellschaft streng hierarchisiert wurde, mit einigen wenigen Königen und Herrschern an der Spitze und der großen Masse als Diener und Sklaven ganz unten. Von nun an waren die meisten Menschen, einschließlich Kinder, Sklaven. Das Wichtigste, was die Kinder lernen mussten, war Gehorsamkeit, Unterdrückung des eigenen Willens und Ehrfurcht vor ihren Herren und Gebietern. Ein aufmüpfiger Geist konnte sehr gut den Tod bedeuten.
Im Mittelalter hatten die Landherren keine Skrupel, Kinder zur Unterwürfigkeit durch körperliche Gewalt zu zwingen. In einem Schriftstück aus dem späten 14. Jahrhundert oder frühen 15. Jahrhundert beispielsweise riet ein französischer Graf den Jagdmännern der Adligen, dass „sie einen sieben bis acht Jahre alten Dienerjungen auswählen“ sollten und dass „… dieser Junge solange geschlagen werden solle, bis er die angemessene Furcht davor habe, den Befehlen des Herren zu versagen.“ [1] Des Weiteren wurde in dem Dokument eine Liste mit einer immensen Anzahl an täglichen Arbeiten angeführt und angemerkt, dass der Junge in einer Kammer über den Hunden schlafen solle, damit er sich um die Bedürfnisse der Hunde kümmern konnte.
Mit dem Aufkommen der Industrie und einer neuen Klasse, der Bourgeoisie, ging der Feudalismus zwar erheblich zurück, eine sofortige Verbesserung der Lebensumstände der meisten Kinder bedeutete dies jedoch nicht. Geschäftsleute wie beispielsweise Landbesitzer brauchten möglichst tatkräftige Arbeitskräfte, welchen sie die geringstmöglichen Löhne zahlten. Jeder weiß über die Ausbeutung, die darauf folgte und heute immer noch in vielen Teilen der Welt existiert. Die Menschen, einschließlich junger Kinder, arbeiteten fast den ganzen Tag, sieben Tage die Woche und in menschenunwürdigen Bedingungen, nur um zu überleben. Die Arbeit der Kinder wurde vom Feld, wo sie wenigsten Sonnenschein, frische Luft und ab und an einmal die Gelegenheit zum Spielen hatten, in dunkle, überfüllte und dreckige Fabriken verlegt. In England haben die Vorarbeiter der Armen in der Regel deren Kinder in Fabriken gesteckt, wo sie wie Sklaven behandelt wurden. Viele Tausende von ihnen starben jedes Jahr aufgrund von Krankheiten, Unterernährung und Erschöpfung. Dies dauerte noch bis ins 19. Jahrhundert an, bis in England endlich Gesetze zur Einschränkung der Kinderarbeit verabschiedet wurden. 1883 verbat die neue Gesetzgebung beispielsweise den Textilherstellern, Kinder unter 9 Jahren anzustellen und beschränkte die Höchstwochenstundenzahl auf 48 für 10- bis 12-Jährige und auf 69 für 13- bis 17-Jährige [2].
Es lässt sich also sagen, dass einige tausend Jahre lang, nachdem die Landwirtschaft Einzug hielt, die Erziehung der Kinder zu einem beträchtlichen Teil darin bestand, ihren Willen zu brechen, um sie zu guten Arbeitern zu machen. Ein Kind, das gehorsam war, seinen Drang, zu spielen und zu entdecken, unterdrückte und brav die Befehle seines Herrn befolgte, war ein gutes Kind. Dies war glücklicherweise nie eine völlig erfolgreiche Erziehungsmethode. Der menschliche Instinkt, zu spielen und zu entdecken, ist so stark, dass dieser niemals voll und ganz aus einem Kind geschlagen werden kann. Die Erziehungsphilosophie dieser Epoche, sofern man von einer sprechen kann, war das Gegenteil von der, die die Jäger und Sammler tausende von Jahre früher praktizierten.
Aus einigen Gründen, die zum Teil religiös zum Teil weltlich bewegt waren, entwickelte und verbreitete sich die Idee einer universellen und verpflichtenden Bildung. Bildung wurde als ideologische Indoktrination verstanden.
Da die Industrie weiter fortschritt und nach und nach automatisiert wurde, sank der Bedarf an Kinderarbeitern in einigen Teilen der Welt. Die Vorstellung, dass die Kindheit eine Zeit sein solle, die für das Lernen bestimmt ist, verbreitete sich und so entstanden Schulen als Lernstätten für Kinder. Vom 16. Jahrhundert an bis ins 19. Jahrhundert entwickelte sich diese Idee und Praxis einer universellen und verpflichtenden öffentlichen Bildung schrittweise in Europa. Es war eine Idee, die viele Unterstützer fand, von denen jedoch alle ihre eigenen Vorstellungen davon hatten, was die Kinder lernen sollten.
Es waren hauptsächlich die immer mehr aufkommenden protestantischen Religionen, die die allgemeine Bildung förderten. Martin Luther erklärte, dass die Erlösung vom individuellen Lesen und Auslegen der Heiligen Schrift abhängte. Ein Grundsatz, dem auch Luther folgte, lautete, dass jeder Lesen lernen musste und dass jeder verstehen musste, dass die Bibel die absoluten Wahrheiten darstellt und die Erlösung vom Verständnis dieser Wahrheiten abhing. Luther und andere Reformationführer priesen die öffentliche Bildung als christliche Pflicht, um die Seelen der Menschen vor der ewigen Verdammnis zu retten. Am Ende des 17. Jahrhunderts hatte Deutschland, das der Vorreiter in der Bildungsentwicklung war, in den meisten seiner Staaten Gesetze, die die Kinder zum Schulbesuch verpflichteten. Allerdings wurden die Schulen von den Lutheranern, nicht vom Staat betrieben [3].
In Amerika war Massachusetts Mitte des 17. Jahrhunderts die erste Kolonie, die die Schulpflicht einführte. Sie bezweckten damit, Kinder zu guten Puritanern zu machen. Anfang der 1690ern lernten Kinder in Massachusetts und den benachbarten Kolonien, aus dem New England Primer zu lesen, einer Fibel, die umgangssprachlich „die kleine Bibel New Englands“ genannt wurde [4]. Sie beinhaltete kurze Reime, die den Kindern halfen, das Alphabet zu lernen. Es begann mit „In Adam’s fall, We sinned all“ und endete mit „Zaccheus he, Did climb the tree, His Lord to see“. Der „The Primer” beinhaltete auch das Vater Unser, das Glaubensbekenntnis, die Zehn Gebote und einige Episteln, die dazu gedacht waren, Kindern Ehrfurcht vor Gott und ein Pflichtgefühl den älteren gegenüber anzuerziehen.
Die Industriebesitzer betrachteten die Schulerziehung als ein Mittel, um bessere Arbeiter heranzuziehen. Für sie waren die wichtigsten Tugenden Pünktlichkeit, Gehorsamkeit, die Bereitschaft, viele Stunden mühsame Arbeit zu verrichten, und die Fähigkeit, zumindest etwas lesen und schreiben zu können. Aus ihrer Sicht (obwohl sie selbst, das nicht so gesagt hätten) galt, je ungelehrter Schüler desto besser.
Während die Nationen sich langsam verfestigten und zentralisierter wurden, sahen deren Anführer in der Schulerziehung die Möglichkeit, gute Patrioten und fähige zukünftige Soldaten heranzuziehen. Für sie war es am wichtigsten, dass die Kinder über die Triumphe des Vaterlands und die glorreichen Errungenschaften und moralischen Tugenden der Gründerväter und Nationsführer lernten und somit die Notwendigkeit, das Vaterland vor den bösen Mächten in der Welt zu schützen, verstanden.
Wir dürfen aber nicht diejenigen Reformer vergessen, die sich wirklich für die Kinder einsetzten, deren Botschaft heute wahrscheinlich sympathisch in unseren Ohren klingen würde. Diese betrachteten Schulen als Stätten, in denen die Kinder vor den schädlichen Mächten der Außenwelt beschützt wurden und in denen Kindern die moralische und intellektuelle Basis geboten wurde, die sie brauchten, um zu aufrechten und fähigen Erwachsenen zu werden. Aber auch diese hatten ihre Vorstellungen darüber, was Kinder lernen sollten. Kinder sollten Fächer wie Latein und Mathematik lernen, die ihren Verstand schulen und sie zu Gebildeten werden lassen sollten.
Jeder, der mit der Gründung oder der Unterstützung von Schulen zu tun hatte, hatte eine klare Vorstellung davon, was Kinder in der Schule lernen sollten. Man kann also mit Verlaub behaupten, dass niemand daran glaubte, dass Kinder, die auf sich selbst gestellt würden, selbst in einer umfangreichen Lernumgebung, genau das lernen würden, was sie (die Erwachsenen) als so wichtig empfanden. Alle betrachteten die Schule als Mittel zur ideologischen Indoktrination und zur Manipulation des Geistes der Kinder durch das Lehren bestimmter Wahrheiten und Denkweisen. Die einzig beliebte Lehrmethode, und das gilt für damals wie für heute, ist aufgezwungene Wiederholung und darauffolgende Gedächtnistests darüber, was wiederholt wurde.
Mit der Entwicklung der Schulerziehung, fingen die Menschen an, das Lernen als die Arbeit der Kinder zu betrachten. Dieselben Durchsetzungsmethoden, die einst Kinder zur Feld- und Fabrikarbeit zwangen, wurden wie selbstverständlich auf das Klassenzimmer übertragen.
Das Wiederholen und Pauken von Unterrichtsstoff ist mühsame Arbeit für Kinder, deren Instinkte ihnen stets sagen, dass sie frei spielen und die Welt entdecken sollen. So wie die Kinder sich nicht bereitwillig an das Arbeiten auf dem Feld oder in der Fabrik anpassten, so passten sie sich auch nicht bereitwillig daran an, zur Schule zu gehen, was für die involvierten Erwachsenen keine Überraschung war. Zu diesem Zeitpunkt der Geschichte war die Vorstellung, dass Kinder einen eigenen Willen, haben fast nicht existent. Jeder war der Meinung, dass man den Willen der Kinder brechen musste, damit die Kinder zur Schule gingen. Bestrafung jeder Art betrachtete man als eng mit dem Bildungs- und Erziehungsprozess verbunden. In manchen Schulen wurde Kindern eine bestimmte Zeit zum Spielen (Pause) gewährt, was ihnen erlauben sollte, Dampf abzulassen. Das Spielen jedoch wurde nicht als Lernmittel erachtet. Im Klassenzimmer war das Spielen der Erzfeind des Lernens.
Welche Haltung die Schulbehörden des 18. Jahrhunderts gegenüber dem Spielen hatten, spiegelt sich in John Wesleys Regeln für Wesley-Schulen wider: „Da wir über keine Spieltage verfügen, so erlauben wir auch kein Spiel an jedwedem Tag, denn wer spielt als Kind, der wird spielen als Mann.“ [5]
Kinder wurden mit denselben brutalen Gewaltmethoden, mit denen sie zur Feld- oder Fabrikarbeit gezwungen wurden, dazu genötigt, zur Schule zu gehen und zu lernen. Einige der unterbezahlten und schlecht vorbereiteten Lehrer hatten ganz klar sadistische Züge. Ein deutscher Lehrer hat alle Bestrafungen, die er in 51 Jahren als Lehrer erteilt hatte, festgehalten. Ein Teil davon war: 911.527 Rutenschläge, 124.010 Stockschläge, 20.989 Schläge mit einem Lineal, 136.715 Schläge mit der Hand, 10.235 Schläge auf den Mund, 7.905 Ohrfeigen und 1.118.800 Schläge auf den Kopf“ [6]. Dieser Lehrer war offensichtlich stolz auf seine Erziehungsmethoden.
John Bernard, ein berühmter Minister Massachusetts aus dem 18. Jahrhundert, hat in seiner Autobiographie diese Zustände bestätigt, da er beschreibt, wie er selbst als Kind regelmäßig von seinem Lehrer geschlagen wurde [7]. Er wurde aufgrund seines Spielinstinkts, dem er nicht widerstehen konnte, geschlagen. Er wurde geschlagen, wenn er nicht lernte. Er wurde sogar geschlagen, wenn seine Klassenkameraden nicht lernten, weil er ein helles Köpfchen war und den anderen beim Lernen helfen sollte und somit die Verantwortung für deren Lernfortschritt trug. Er beschwerte sich allerdings nur über eine Sache und zwar, dass einer seiner Klassenkameraden absichtlich nicht gelernt hatte, um zu sehen, wie er geschlagen wurde. Letztendlich hat er das Problem damit gelöst, dass er seinem Klassenkamerad am Ende des Schultags „eine gehörige Tracht Prügel“ verpasst hatte und ihm mit weiteren drohte. Das war die gute alte Zeit.
In den letzten Jahren sind die Unterrichtsmethoden zwar sanfter geworden, die Grundgedanken sind jedoch immer noch dieselben. Das Lernen wird immer noch als die Arbeit der Kinder betrachtet und diese werden immer noch mit Strenge dazu gezwungen.
Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte sich die öffentliche Schulerziehung nach und nach zu dem, was wir heutzutage als normale Unterrichtsmethoden betrachten. Die Methoden zur Disziplinierung der Schüler wurden humaner zumindest hinsichtlich der körperlichen Gewalt. Die Fächer wurden immer weniger von der Religion bestimmt und der Lehrplan wurde breiter, da sich auch das Wissen der Menschen erweiterte. Dies hatte eine stets wachsende Fächeranzahl zur Folge und damit auch immer mehr Stunden, Tage und Jahre verpflichtenden Schulunterrichts. Die Schule hat nach und nach die Feld-, Fabrik- und Hausarbeit als Hauptaufgabe der Kinder ersetzt. So wie die Erwachsenen in ihrem Job 8 Stunden schuften müssen, so müssen die Kinder heutzutage 6 Stunden pro Tag zur Schule gehen, plus noch mindestens einer Stunde für Hausaufgaben und häufig noch mehr für außerschulischen Unterricht. Im Laufe der Zeit wurde das Leben der Kinder immer mehr durch die Lehrpläne bestimmt und genau strukturiert. Kinder werden fast immer anhand ihrer Noten in der Schule bewertet, ähnlich wie es die Erwachsenen anhand ihres Jobs oder ihrer Karriere werden.
Die Lehrmethoden sind zwar sanfter geworden, gewisse Grundgedanken über die Art des Lernens sind jedoch unverändert. Lernen ist harte Arbeit. Es ist etwas, zu dem Kinder gezwungen werden müssen, nicht etwas, das von den Kindern selbst gewählt wurde. Die spezifischen Fächer, die die Kinder lernen müssen, werden von professionellen Bildungswissenschaftlern bestimmt, nicht von den Kindern selbst. Die Bildung ist heute also immer noch eine Art von Auferlegung (obwohl Bildungswissenschaftler diesen Begriff meiden und fälschlicherweise Begriffe wie „Entdeckung“ nutzen).
Gute Lehrer könnten „das Spielen“ als Werkzeug nutzen, damit Kinder zumindest einige Unterrichtseinheiten genießen können. Außerdem sollten Kinder in der Pause die Möglichkeit haben, frei spielen zu können (das ist in letzter Zeit jedoch immer weniger der Fall). Die Spiele, die Kinder spielen, werden jedoch in den meisten Fällen nicht als adäquate Bildungsbasis erachtet. Kinder, deren Spieldrang so stark ist, dass sie im Unterricht nicht still sitzen können, werden nicht mehr geschlagen, nein, dafür werden ihnen heute Medikamente verabreicht.
In der Schule wird den Kindern heutzutage die Unterscheidung beigebracht, die die Jäger und Sammler niemals gemacht haben – die Unterscheidung zwischen Arbeit und Spiel. Die Lehrer sagen Dinge wie: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Dieser Botschaft gemäß ist Arbeit, die das Lernen an der Schule bestimmt, offensichtlich etwas, das niemand tun möchte, sondern muss, und das Spielen etwas, das jeder tun möchte, aber nur relativ gering geschätzt wird. Dies ist möglicherweise das, was wir hauptsächlich von unseren Lehrmethoden lernen können/sollen. Wenn Kinder nichts anderes in der Schule lernen, dann lernen sie, was der Unterschied zwischen Arbeit und Vergnügen ist, und dass Lernen Arbeit bedeutet und nicht Vergnügen.
In diesem Post habe ich versucht zu erklären, wie die Menschheitsgeschichte zu der Entwicklung der Schulen geführt hat, wie wir sie heute kennen. In meinem nächsten Post werde ich über ein paar Gründe reden, warum neueste Versuche, Schulen in ihren Grundzügen zu reformieren, gescheitert sind.
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Quellen
- Quoted by Orme, N. (2001), Medieval children, p 315.
2. Mulhern, J. (1959), A history of education: A social interpretation, 2nd edition.
3. Again, Mulhern (1959).
4. Gutek, G. L. (1991), An historical introduction to American education, 2nd edition.
5. Quoted by Mullhern (1959, p 383).
6. Again, in Mullhern (1959, p 383).
7. From “Autobiography of the Rev. John Bernard,” Collections of the Massachusetts Historical Society, 3rd Ser., 5 [1836]: 178-182. Extracted in J. Martin (Ed.) (2007), Children in Colonial America.
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Dr. Peter Gray ist Forschungsprofessor am Boston College und Autor des kürzlich veröffentlichten Buches “Free to Learn“ (Basic Books) und „Psychologie“ (ein Lehrbuch, heute in seiner sechsten Auflage).
Andere Artikel von Peter Gray in Englisch:
www.psychologytoday.com/blog/freedom-learn
Buch in Englisch “Free to Learn”:
www.freetolearnbook.com
Originalartikel in Englisch: http://www.psychologytoday.com/blog/freedom-learn/200808/brief-history-education
Dieser Artikel wurde übersetzt von: Thomas Lozano
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